Zwischen Vergangenheitsbewältigung und Zukunftsoptimismus – Erfahrungen des Psychologen und Generationenforschers Rüdiger Maas mit der GenZ in Ruanda

Über 50 Prozent der ruandischen Bevölkerung sind unter 20 Jahre alt und das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei 22,7 Jahren. Zum Vergleich das alternde Deutschland: Hier sind lediglich circa 18,5 Prozent der Bevölkerung unter 20 Jahre alt[1] und durchschnittlich sind die Deutschen 44,5 Jahre alt.[2] Die Jugendbevölkerung in Ruanda wuchs von 2002 bis 2012 um rund 30 Prozent. Und das merkt man, wenn man mit der ruandischen Generation Z ins Gespräch kommt.
Die Folgen der Kolonialisierung - Der Genozid in Ruanda
Um die Lage der Bevölkerung und der Generation Z in Ruanda verstehen zu können, muss man sich mit dem wohl düstersten und grausamsten Kapitel der ruandischen Geschichte beschäftigen. Es geht um einen Völkermord, den es so hätte nie geben können, hätten sich europäische Kolonialmächte nicht große Teile des afrikanischen Kontinents unter den Nagel gerissen.
Seit jeher gibt es in Ruanda die Bevölkerungsgruppe der „Tutsi“, die sich überwiegend mit Viehzucht betreibt und die „Hutu“, eine Bevölkerungsgruppe, die vornehmlich im Ackerbau tätig ist. Da unter der Regentschaft von König Kigeri IV zwischen 1853 bis 1895 immer mehr Tutsi in führenden politischen Positionen eingesetzt wurden, wurden die Tutsi mit der herrschenden und die Hutu mit der untergebenen Bevölkerungsgruppe assoziiert. Als die Belgier zwischen 1919 und 1923 Ruanda kolonialisierten machten sie eine folgenschwere Entscheidung: Ob jemand Tutsi oder Hutu war, wurde in Ausweispapieren amtlich festgelegt. Hintergrund dieser Entscheidung war eine rassistische Theorie aus Deutschland, die die Belgier übernahmen. In dieser wurde behauptet, die Tutsi seien die herrschende Rasse, da sie mit europäischen Völkern verwandt seien.
In den folgenden Jahrzehnten wendete sich jedoch das Blatt: Die belgischen Kolonialherren verstanden sich mehr und mehr als Missionare und ermöglichten Hutus die Teilhabe an Bildung und Politik. Gewaltsam und unter Blutvergießen ersetzten sie einen Großteil der politischen Posten in Ruanda durch Personen der Hutu. Der Mythos eines erfolgreichen Kampfes des ehemals unterdrückten Volkes wurde von den nun herrschenden Hutus geschürt: Durch Propaganda, Aufrüstung des Landes, der Verteilung von importierten Waffen an die Bevölkerung und massive Kriegsrhetorik wurden die Tutsi zum Feindbild stilisiert. Als im Jahr 1994 das Flugzeug des ruandischen Präsidenten Habyarimana abgeschossen wurde – bis heute ist unklar, wer dafür verantwortlich ist –, explodierte das Pulverfass: 30 Minuten später, in einem unvergleichlichem Rachefeldzug, arbeiteten Hutus ihre zuvor erstellten Todeslisten ab. Zahlreiche Tutsi und oppositionelle Hutus fielen diesen zum Opfer. In den kommenden Wochen folgten öffentliche Aufrufe von Politikern an die Bevölkerung zu Tötungen der Feinde, zu Vergewaltigungen von Frauen und zum Aushungern von Belagerten. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 500.000 Personen getötet worden sind – etwa 37,9% mit einer Machete durch die eigene Bevölkerung.
Die Vergangenheit Ruandas aus Sicht der Generation Z und deren Zukunft
Die Generation Z in Ruanda ist die erste Generation nach dem Genozid. Die erste Generation, die kein Blut an den Händen kleben hat. Sie grenzen sich stark von den Geschehnissen der Vergangenheit ab. Sie sehen, im Gegensatz zu ihren Eltern und Großeltern, keine Unterschiede zwischen Tutsi und Hutu und sie sind sich bewusst, dass es sich um eine vom Menschen gemachte Differenzierung handelt, die aus der Welt geschaffen werden muss. In einem Interview äußerte sich ein ruandischer Jugendlicher hierzu: „Maybe my parents are able to see a difference, me? I can’t and I don’t want to see any difference between Rwandians.” Für die Jugendlichen ist ein tolerantes Zusammenleben essenziell.
Auch in Politik und Wirtschaft wollen es die jungen Ruander besser machen: Sie fordern in dem wirtschaftlich aufstrebenden Land aktive Mitbestimmung ein und sind bereit, dafür zu investieren. Viele arbeiten freiwillig mehr als 40 Stunden pro Woche in Start-ups und machen Überstunden. Aktiv werden und den Wohlstand für das Land zu vergrößern, ist das erklärte Ziel vieler Befragten. Das Weltgeschehen soll durch ihr Zutun positiv beeinflusst werden. Sie sehen sich nicht nur als Mitbegründer des Wohlstandes in Ruanda, sondern auch als verantwortlich für eine aussichtsreiche Zukunft ihres Landes. Um das zu erreichen, haben sie bereits viel in ihre Bildung investiert und sind auch zukünftig bereit, viel darin zu investieren. Die gebildeten Angehörigen der Generation Z in Ruanda sind in vielen gesellschaftlichen Entwicklungen Vorreiter. Das ist schon allein zahlenmäßig sichtbar: Jugendliche machen beispielsweise über 53 Prozent der Bevölkerung in der Hauptstadt Kigali aus. Zwar leben noch rund 80 Prozent der jungen Ruander in ländlichen Gebieten, doch die Städte Ruandas verzeichnen einen Anstieg ihres Anteils an jungen Menschen.
Von der pessimistischen Weltsicht der Generation Z in Deutschland findet man in Ruanda nichts. Im Gegenteil: Die jungen Ruander blicken optimistisch und voller Tatendrang in die Zukunft. Eben, weil man alles dafür tut, dass sich das dunkle Kapitel der Geschichte nicht wiederholt. Daher packt man die Zukunft an. Damit einhergeht auch eine Abgrenzung von den eigenen Eltern und Großeltern, denen die jungen Leute noch eine tiefe Verwobenheit in den Konflikt zwischen Hutus und Tutsis zuschreiben. Hier ist der größte Unterschied zur Generation Z in Deutschland sichtbar: Der für die Generation Z in Deutschland typische Neo-Konventionalismus, also die Übernahme der Werte und Einstellungen der Eltern, ist für die Generation Z in Ruanda ausgeschlossen. Damit einhergehen könnte auch eine größere Kreativität im Hinblick auf die Gestaltung der Zukunft des Landes.