Mit dem Hashtag #besonderehelden plädierte die Bundesregierung für die Vermeidung der Virusausbreitung: In mehreren Werbeslogans wurden genau die vorbildlichen „Helden“ gezeigt, die gegen die Corona-Pandemie ankämpfen. Nämlich Leute, die zu Hause bleiben, geradezu phlegmatisch im Bett liegen bleiben, Fern sehen und Fertigprodukte in sich hineinstopfen. Anscheinend aber haben viele Leute diesen ironischen Aufruf zur Kontaktreduktion wohl in den falschen Hals bekommen: Das Institut für Generationenforschung hat beispielsweise herausgefunden, dass 40 % der Männer und 31 % der Frauen coronabedingt weniger Sport treiben.
Sicherlich wurde die Faulheit in den Werbespots bewusst überakzentuiert, um den Folgen der Corona-Einschränkungen den Schrecken zu nehmen und über Witz, Akzeptanz für die Maßnahmen zu bekommen. Allerdings scheint sich die in den Spots beschriebenen Faulheit geradezu lähmend auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen zu haben.
Zu Beginn der Pandemie füllten sich die Sozialen Medien noch mit dieser vermeintlich kreativen Phase, diesem Zu-sich-selbst-Finden, diesem „endlich mal Zeit haben für dies und das haben“, sodass manch Eine/r schnell ein schlechtes Gewissen bekommen konnte, sein Zimmer nicht umgestellt, neue Sprachen gelernt, Bücher verschlungen oder seine Yoga-Lehrer-Ausbildung beendet zu haben. Andere plädierten dagegen für das bewusste Zulassen von Unproduktivität, um gestärkt aus der Auszeit durch die Pandemie hervorgehen zu können. Gleichwohl wirkte Vieles aber wie eine großangelegte Werbemaschinerie einer gehobenen Mittelschicht, die lediglich auf die liebgewonnenen Privilegien verzichten muss, aber eigentlich weiterhin alles hatte – und nach der Pandemie jederzeit wieder auf diese Privilegien zurückgreifen kann.
Der geschmacklose Rückgriff des Werbeslogans auf Kriegsmetaphorik zeigte jedoch auf indirektem Wege an, dass es eben auch eine andere Seite von Corona gibt: Diejenigen, die durch die Pandemie geschädigt wurden oder sogar Angehörige verloren haben. Und leider trifft es eben auch bei einer Pandemie gerade die weniger privilegierten Personen. In den USA findet sich hierzu ein eindrucksvoll-tragisches Beispiel: Vor allem unter Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die meist in schlechteren sozialen und ökonomischen Verhältnissen leben als Menschen mit weißer Hautfarbe, sind mehr Corona-Tote zu beklagen.
Doch die Pandemie ist längst nicht besiegt, wie uns die leider oft steigenden Infektionszahlen vor Augen führen. Der Werbespot ist nicht nur irreführend, sondern schlichtweg falsch: Denn nur faul rumliegen reicht zur Pandemiebekämpfung nämlich schlichtweg nicht aus.
Ja, was haben wir auf den Balkonen unsere Hände warm geklatscht...!? So faul waren wir also gar nicht! Solidarität ist gut, aber nicht, wenn ich etwas dafür tun muss, ja sogar auf etwas verzichten muss. Das war weder mutig noch kreativ, sondern wurde einfach via Social Media von Italien und Spanien übernommen. Zurecht krönte eine Berliner Krankenschwester dies mit folgendem Post auf Facebook: „Euren Applaus könnt ihr euch sonstwohin stecken.“ Auch die Umfrage des Instituts für Generationenforschung ergab, dass 40 % der Befragten der Meinung sind, dass die soziale Spaltung in Deutschland durch die Coronakrise zunehmen wird. Bundespräsident Steinmeier erwähnte in seiner Weihnachtsrede 2020: „Das Virus treibt uns nicht auseinander...“. Leider aber auch nicht mehr zusammen, oder gar voran. Stillstand ist Rückstand.
Wenn Kreativität mit seiner lateinischen Begriffsherkunft „creare“, also etwas Neues zu schaffen, verbunden wird, sieht es diesbezüglich in Deutschland derzeit düster aus. Selbst das Klatschen müssen wir uns von Anderen abschauen. Wir plädieren in keiner Weise dafür, dass Deutschland wieder die europäische oder gar globale „Spitze“ einnimmt, á la eines verkürzt nationalistischen Wissens-Protektionismus. Im Gegenteil: Wir sind für mehr weltweite Zusammenarbeit. Denn die neuartige Situation durch die Pandemie erfordert von uns ein Denken und Zusammenarbeiten, dass wir zuvor in Deutschland noch nicht gewohnt waren. Andere Länder wie China, Nordkorea, Mikronesien, Nauru oder Turkmenistan haben kaum oder keine Infektionszahlen. Selbst wenn man diesen Zahlen keinen Glauben schenken mag, so lohnt sich wohl der Blick über den Tellerrand auf die Pandemiebewältigungsstrategien anderer Länder. Nicht umsonst stechen wir gerade europaweit durch hohe Infektionszahlen hervor.
„Made in Germany“ reicht eben bei der Pandemie-Bekämpfung nicht aus. Das ursprünglich von den Briten im 19. Jahrhundert verhängte Label galt eigentlich als Stigmatisierung: Denn importierte Waren aus Deutschland sollte gekennzeichnet werden, da diese als besonders mangelhaft galten. Inzwischen aber hat sich das eigentlich negativ gemeinte Label zu einem Gütesiegel gemausert. Eben weil es Ingenieure und Produzentinnen aus Deutschland geschafft hatten, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern.
Bei der Pandemiebekämpfung zeigt sich ein anderes Bild: Der Skandal in Bayern, als sich die Testzentren „verzettelten“ und auf Faxe statt auf digitale Medien setzten, zeigten, dass in Deutschland immer noch mit den Waffen des letzten Jahrtausends gekämpft wird. Faxgerät, Bleistift und Papier können wir uns schlichtweg mit Blick auf die Infektionszahlen nicht mehr leisten.
Wir müssen mehr Mut zur Kreativität haben und das lähmende scheinbar Altbewährtes abwerfen. Damit wir wieder unserem gern wiederholten Slogan „Deutschland, das Land der Dichter und Denker“ gerecht werden, und zwar so, wie es frühere Generationen mit der Marke „Made in Germany“ geschafft haben: So wurde aus dem Warnhinweis vor schlechter schließlich ein Werbehinweis für gute Qualität. Sich nur auf den Errungenschaften des letzten Jahrtausends auszuruhen, ist zu wenig. Oder hemdsärmelig die Social Media Kanäle zu bespielen. Das reicht nicht aus, wie wir täglich in der medialen Berichterstattung sehen können: „Deutschland, das Land der Andichter und Querdenker“ ist derzeit eher an der Tagesordnung, siehe Hygiene-Demonstrationen. Andernfalls droht uns das umgekehrte Schicksal des „Made in Germany“-Siegels, nämlich von „Hero to Zero“. Unsere Vorfahren hat dieses Schicksal nicht ereilt. Sie waren mutig. Diese Trägheit und Arroganz müssen wir abstreifen und mutiger in die Zukunft schreiten, denn Kreativität verlangt Mut und ein Aufgeben des Immergleichen. Und das, was uns oft in der Medienlandschaft präsentiert wird, ist eben nicht kreativ, auch wenn es zunächst so scheinen mag.
Also, habe den Mut dich deiner Kreativität zu bedienen!
Zukunftsforscher Hartwin Maas