Autoren des Instituts für Generationenforschung:
Psychologe Rüdiger Maas und Soziologin Kathrin Peters über die aktuelle politische und gesellschaftliche Lage
Wer ist schneller?
Der der von einem kläffenden Hund verfolgt wird oder der, dem monetäre Belohnung versprochen wird? Einem berüchtigten psychologischen Experiment aus dem Mittelalter zur Folge wurden so die Motivatoren menschlichen Verhaltens entdeckt. Das Ergebnis: Geld oder wie im damaligen Fall Gold, kann lange nicht so intensiv mobilisieren, wie die Angst um Leib und Leben. Wer Angst hat, ist schlichtweg schneller. Der Mensch ist ein Fluchttier.
Das Wort „Angst“ stammt vom griechischen Verb agchein und dem lateinischen angere ab. Übersetzt meinen beide „würgen“ oder „die Kehle zuschnüren“. Genau das Gefühl, dass viele von uns kennen, wenn man vom kalten Draußen ins warme Drinnen kommt und dabei die Maske nicht absetzen darf.
Die Corona-Krise schnürt uns aber auch noch auf eine andere Weise die Luft ab. Das Institut für Generationenforschung hat in einer bundesweiten Umfrage verschiedene Generationen zu ihren Sorgen befragt: Sorgen machen sich im Schnitt die meisten Deutschen über „meine finanzielle Situation“, „die Gesundheit eines Familienmitglieds“, am deutlichsten sticht jedoch mit 81,36% die Sorge über „die aktuelle Tagessituation auf der Welt“ hervor. Zahlen, die jeden Psychologen alarmieren, zumal diese im Laufe der Corona-Krise hinweg nicht rückläufig sind. Denn Angst hat anthropologisch eine sehr wichtige Funktion: Sie warnt den Menschen auf kognitiver Ebene durch Angstgedanken vor Gefahren, löst Emotionen aus, steigert den physiologischen Erregungszustand und aktiviert schließlich ein mögliches Verhalten von Flucht bis Angriff der Gefahrenquelle. Doch permanente Angst zu haben, ist aus psychologischer Sicht ein Problem. Angst wird dann zum „Zustand“, wird diffuser und tritt unabhängig von konkreten Angstauslösern zu Tage. Das ist genau der Zustand, den die „Sorge“ thematisiert, eine nachdenkliche Angst, eine Grübelei, nur in weniger intensivierter Form wie die Angst.
Wir sind aber derzeit politisch und medial auf dem besten Weg, die Angst in unserer Gesellschaft zu institutionalisieren. Der Politikwissenschaftler Wolfang Merkel bezeichnet das politische Vorgehen als „Überbietungswettbewerb im Verbieten“, der ausschließlich auf die Orientierung am Ausnahmezustand zurückgeht. Die Politik orientiert sich nahezu ausschließlich an „Worst-Case-Szenarien“ von einigen Virologen, ignoriert abweichende Modellverläufe der Infektionszahlen und hat damit die Legitimation um umfangreiche Eingriffe in die Grundrechte vorzunehmen. Die Infektionsangst, die bei den Menschen geschürt und eine diffuse Sorge vor dem Weltgeschehen, dass sicherlich auch durch die Medien befeuert wird, beflügelt die Politik geradezu. Einige Politiker werden medial als Helden der Corona-Politik inszeniert, und die meisten von ihnen werden wohl nichts dagegen haben, wenn sich dies auf die zukünftigen Wahlergebnisse positiv niederschlägt. Forschende der Humboldt Universität sprechen sogar von „Governance by fear“, also regieren durch Angst. Es ist eben nicht die irrationale Angst der Verschwörungstheoretiker, sondern die rationale Angst, die sich durch wissenschaftliche Zahlen scheinbar untermauern lässt.
Dabei kann man den Politikern und Medien nicht in pauschalierender Manier böse Absichten unterstellen. Im Gegenteil: Das geschieht alles unter dem Deckmantel der „Humanität“. Und hier lauert die Gefahr, die mir am meisten Sorge bereitet. Carl Schmitt, Staatsrechtler und politischer Philosoph hat anhand seiner Freund-Feind-Dichotomie gezeigt, was ein Staatswesen im Innersten zusammenhält, nämlich der gemeinsame Antagonismus gegen einen Feind. Und diese Unterscheidung von Freund und Feind tritt deutlich im Ausnahmezustand zu Tage. Zwar waren Schmitts Überlegungen auf Staaten und Völker bezogen, allerdings lässt sich im Ausnahmezustand, in dem wir uns derzeit befinden, ebenfalls ein Feind ausmachen, nur unsichtbarer, nämlich das Corona-Virus. Und nicht selten bedient sich die politische Berichterstattung Kriegsmetaphorik: der virale Feind kann nur durch #stayathome und Home Office bekämpft werden, heldenhaftes Pflegepersonal wird medial gefeiert und man rüstet sich mit Masken auf. Dabei kämpfen auf den Straßen die Gegner der Regierung und der Maßnahmen gegen die „Lügenpresse“ und jedes Bundesland fährt eine eigene Corona-Strategie oder macht die Schotten dicht.
Vielleicht erfordern Ausnahmezustände auch außerordentliche Maßnahmen. So weit so gut. Doch in der Corona-Schlacht wird noch ein weiterer Feind deutlich: Der Mensch. Eine Gefahr, auf die bereits Carl Schmitt hingewiesen hat, nämlich wenn Unterscheidungen von Freund und Feind nivelliert werden und Kämpfe im Namen der Humanität geführt werden. Sollte also die Akzeptanz der Menschen für die Maßnahmen sinken, steht die gegenwärtige Politik vor einem Problem: Sie verliert nicht nur an Legitimität, sondern hat keine Rechtfertigungsgrundlage mehr für ihre Corona-Maßnahmen. Das Virus wird schlichtweg unterschätzt, vielleicht aber auch ignoriert oder gar negiert. In dieser Situation fallen Unterscheidungen zwischen Freund und Feind weg. Das wir bereits auf dem Dampfer in eine solche Situation finden, zeigt sich, wenn Maskenverweigerer in der U-Bahn Passanten zum Abnehmen der Masken zwingen, wenn Corona-Leugner ohne Mindestabstände auf den Straßen demonstrieren oder wenn horrende Strafen für Verstöße gegen die Corona-Regeln eingeführt werden. Ach ja, dazu zählt auch die monatelange Grundrechteinschränkung seit Beginn der Pandemie.
Die Schmittsche Überlegung legt uns nahe, mit aller Kraft an der wissenschaf
tlichen Aufklärung der Gefahren des Corona-Virus zu arbeiten und verschiedene Disziplinen und Meinungen bei der Konzeptualisierung politischer Strategien anzuhören. Dabei müssen die Erkenntnisse so aufbereitet werden, dass sie einfach verständlich sind. Ein schwieriger Spagat, der unbedingt zu versuchen ist, denn ansonsten wird die Akzeptanz der Bevölkerung für die Maßnahmen sinken und eine Spaltung der Gesellschaft schreitet voran.
Und dann kann die Angst der Menschen eben auch denjenigen in die Karten spielen, die einfache Deutungsangebote für die Corona-Pandemie bereitstellen. Und wenn das geschieht, geschieht das schnell, denn das die Menschen schnell laufen können, dafür haben die Politik und die Medien selbst gesorgt.
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