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Generationenclash im Klassenzimmer

Gastbeitrag von Clara Schaksmeier

„Unkonzentriert, weltfremd, undiszipliniert, handysüchtig...“ Solche Attribute höre ich vermehrt von Lehrkräften, wenn es um die Beschreibung ihrer Schüler*innen geht. Ein beliebter Satz ist auch: „Früher war alles besser, da gab es noch Disziplin und Ordnung.“ War es das wirklich? Ich denke nicht. Es war einfach nur anders. Digitalisierung und der Klimawandel haben Lebensrealitäten und somit unser Denken und Handeln radikal verändert. Die Unterschiede zwischen den Generationen sind immens geworden. Es wird Zeit, dass wir uns neu kennenlernen und begegnen.


In seinem Buch „Die Generation Z – Ergebnisse der Generation-Thinking-Studie“ fasst der Psychologe Rüdiger Maas die Ergebnisse seiner Forschung zur Generation Z zusammen. Er leistet so einen Beitrag zu einem generationsübergreifenden Verständnis. Denn bereits das Bewusstsein über die Unterschiede in den Lebensrealitäten ist meines Erachtens ein großer Schritt zur Annäherung. Er gibt konkrete Handlungsempfehlungen für Personaler*innen und Führungskräfte. Ich frage mich, was der Aufprall der Generationen im Klassenzimmer für den Schulalltag bedeutet. Und ob wir nicht alle einfach mal miteinander reden sollten!?


Die Generationen im Klassenzimmer

Die heutigen Lehrkräfte zählen zu den Generationen „Babyboomer“,“ X“ oder „Y“. Andere Lebensstandards, weltpolitische Phänomene, die heute schon den Geschichtsbüchern angehören und eine entsprechende Welt- und Lebenswahrnehmung prägen diese. Sie haben einen (Groß-)Teil ihres Lebens ohne Internet gelebt und können sich bestimmt noch gut an die schleichenden Anfänge der weltweiten Vernetzung erinnern. (Ich muss dabei sofort an das knatternde Geräusch des Routers beim Einwählen denken. Und an die tausend Floppy Disks, die in unserem Wohnzimmer rumflogen. Und an Boris Beckers „Bin ich schon drin?“.) Für die meisten ist der Umgang mit Laptop, Beamer, Whiteboard und vielleicht sogar Lernapps Alltag geworden. Dennoch haben sie einen ganz anderen Zugang zum Digitalen als ihre Lernenden.


Die Kinder und Jugendlichen, die heute die Schulbank drücken, gehören der Generation Z an. Je nach Quelle zählt man die Jahrgänge etwa zwischen 1995 und 2010 dazu. Für die Generation Z gibt es kein Leben ohne Internet. Es war immer da. Kein aufwändig lautes Einwählen, keine rumfliegenden Floppy Disks und, zum Glück für sie, kein Boris Becker, der fragt, ob er „schon drin“ sei. Allein diese Dinge, verändern den Zugang zur Welt. Für die heutige Jugend gibt es zwei Welten. Die analoge und die digitale. Angesichts des Klimawandels scheint die eine jedoch endlicher und zerbrechlicher denn je. Neben der Immersion in die digitale Welt prägen daher Existenz- und Zukunftsängste das Denken und Handeln vieler Jugendlicher.


Generationen sind hochkomplexe Konstrukte, da zahlreiche Faktoren auf sie einwirken und zu berücksichtigen sind. Hinzukommen natürlich noch, wenn man kleinere Gruppen bzw. Individuen betrachtet, persönliche und sozioökonomische Faktoren. Diese vernachlässige ich im Folgenden. Ich betrachte die Generationen, die im Klassenzimmer aufeinandertreffen, vorrangig mit Blick auf die verschiedenen Zugänge zur digitalen Welt. Anhand von einigen Beispielen möchte ich zeigen, wie wichtig es ist, dass sich die Generationen im Klassenzimmer neu begegnen.


Das Wissen der Welt ist nur noch einen Klick entfernt. Immer und überall.

Welche Aufgabe hat die Lehrkraft, wenn die Jugend alles überall und sofort nachschauen kann? Wofür geht man noch zur Schule? Werden Lehrkräfte in ihrer Rolle noch ernst genommen? Es mag schmerzlich klingen, aber Lehrkräfte müssen meines Erachtens ihren bisherigen Berufsrahmen verlassen, um noch gebraucht zu werden. Und sie werden gebraucht! Mehr denn je. Ich bin der Meinung, dass nicht mehr die Wissensvermittlung, sondern das Üben, Anwenden und die Vermittlung von digitalen Kompetenzen (Digital Literacy) im Vordergrund steht. Doch dafür müssen Politik und Schulen verstehen, was die Jugend heute braucht. Nämlich wie man Wissen anwendet, es in einen Kontext bringt, den Wahrheitsgehalt verifiziert, Quellen hinterfragt und sich eine umfassende Meinung bildet. Es muss auch ein Bewusstsein geschaffen werden, wie die Mitmenschen aus anderen Generationen ticken, welche Werte es gibt, was im Arbeitsleben gefordert und erwartet wird. Schule sollte mehr und mehr zu einem „Trainingsplatz“ für die „echte Welt“ werden, in der wir demokratisch, weltoffen, reflektiert und rücksichtsvoll miteinander umgehen und die Vorteile, die der technische Standard mit sich bringt, bestmöglich nutzen.


Likes und Kommentare für ein TikTokvideo oder ein Instagrambild sind eine neue und vor allem schnelle Währung der Aufmerksamkeit, Bestätigung und Wertschätzung.

Jugendliche, die in der digitalen Welt „leben“, sind es gewohnt, schnell eine Rückmeldung zu erhalten. Auf alles. Sei es die Onlinebestellung, die Nachricht an den Freund, eine im Blog gestellte Frage, das gerade eben hochgeladene TikTokvideo, die Instastory mit der Freundin- sofort blinken Herzen, Sprechblasen und Benachrichtigungen auf. Das schnelle Feedback gibt Sicherheit und Bestätigung und ist in seinem Aufkommen verglichen mit der analogen Welt wesentlich höher frequentiert. Ich denke, es ist wichtig, dass Lehrkräften bewusst wird, dass ihre Schülerschaft eine so immense Rückmeldungsfrequenz gewohnt sind und diese vielleicht sogar fast schon brauchen. Transparente Notengestaltung, regelmäßige strukturelle Rückmeldung zu Leistungen oder Meldebeiträgen sind meines Erachtens daher wichtiger denn je. Ein Austausch darüber, in welchem Maß eine Klasse Feedback wünscht und braucht, wäre meiner Meinung nach ein sinnvoller Schritt sich zu begegnen, um alle Lernenden abzuholen und mitzunehmen.


Darüber hinaus sollte meines Erachtens immer wieder und mehr denn je das Selbstbewusstsein der Schüler*innen gestärkt werden. In jedem Alter. Das kann auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel durch Projektarbeit, passieren und durch den Fokus auf die individuellen Talente. Eine Generation, die eine Abhängigkeit von einer äußeren (digitalen) Bestätigung entwickelt, ist fragil. Die Schule könnte dem durch mehr Persönlichkeitsentwicklung entgegensteuern, um eine Generation hervorzubringen, die unabhängig von den Likes fremder Menschen agiert.


Digitale Betreuung und Kommunikation. Die Generation Z trennt Schule/Beruf und Privatleben.

Maas hat in seiner Studie herausgefunden, dass die Generation Z Social-Media für private Zwecke nutzt und kein Interesse daran hat, dass berufliche oder schulbezogene Informationen dort auftauchen. Wenn man als Lehrkraft trotzdem digital mit seiner Klasse vernetzt sein will, kann dies über die Schulcloud verlaufen. Ein ehemaliger Kollege ist sehr erfolgreich damit, sein Material über ein von ihm betreutes Portal (WordPress oder Moodle sind mögliche Optionen) zur Verfügung zu stellen. Ich habe auch bereits gehört, dass Lehrkräfte sich ein ‚Diensthandy’ angeschafft haben, um zu bestimmten Sprechzeiten und vor Klausuren Fragen in einer Klassen-WhatsApp-Gruppe zu beantworten. Kostenlose Weiterbildungen und Schulungen können den Lehrkräften die „Umstiegshürden“ erleichtern.


Im Netz prasselt das Informations- und Unterhaltungsangebot nur so auf einen herein. Mit immensen Auswirkungen auf die Aufmerksamkeitsspanne.

Lehrkräfte haben einen Großteil ihres Wissens aus Büchern, Fachartikeln, Zeitungen... das gilt auch für mich. Aus eigener Beobachtung kann ich bestätigen, dass sich etwas verändert. Aufgrund der vielen weiterführenden Verlinkungen und Verweise fällt es mir schwer, konzentriert nur einen Text zu lesen (ein weiterführender Link hier, ein neuer Tab da, oh, das könnte auch interessant sein...).


Gute YouTube-Videos dürfen nicht länger als 10 Minuten dauern, sonst klicken die Zuschauer einfach weiter. Apps wie Blinklist zeigen deutlich, dass Informationen komprimiert und am liebsten häppchenweise, kurz und knackig konsumiert werden.


Lehrkräften heutzutage sollte bewusst sein, dass sich etwas in den Köpfen getan hat. Es zu ignorieren, hinzunehmen oder ggf. sogar Texte stark zu reduzieren fände ich fahrlässig. Denn schließlich ist konzentriertes und langes Lesen für viele Berufe und für das Studium eine Grundvoraussetzung. Ich erachte daher eine neue Definition von Lesekompetenz, vermehrte Konzentrations- und Leseübungen und eine klar kommunizierte Begründung für genau dieses Training (nämlich der davon abhängige Studienerfolg) für unumgänglich. Auch regelmäßige Konzentrationsübungen oder Meditationen helfen, dass die Generation Z lernt, sich besser zu fokussieren.


Die Existenzängste der Generation Z ernst nehmen.

„Warum sollte ich noch zur Schule gehen, wenn morgen eh die Welt untergeht?“ Die Angst vor den Folgen des Klimawandels ist omnipräsent. Ich erachte Angst als eine gefährliche und sehr ernstzunehmende Emotion. Schüler*innen sollten in dieser gesehen und abgeholt werden. Am besten durch einen Austausch auf Augenhöhe. Auch die Generationen der Lehrkräfte hatten Angst: der Kalte Krieg, Tschernobyl... Die Schule sollte ein Ort des aktuellen Austausches werden und Möglichkeiten bieten, Lösungsansätze, Handlungsempfehlungen und Verhaltensänderungen gemeinsam mit den Klassen zu entwickeln. Vielleicht ist es momentan tatsächlich wichtiger, dass wir lernen, wie man Plastikmüll reduziert, anstatt zu pauken, wie tief der Mariannengraben ist (das kann man mittlerweile eh mit einem Klick nachgucken).


Auch umgekehrt sollte natürlich der Jugend bewusst(er) werden, wer eigentlich vor ihnen steht. Ein Abstempeln der Lehrkraft als „Digitaler-Dinosaurier“ verhärtet nur die Fronten. Doch auch das geht nur über den Dialog. Authentizität und Offenheit sind der Schlüssel. Öffnet sich eine Autorität, ist interessiert, bittet um Hilfe bei technischen Fragen, stehen ihr oder ihm viele Türen offen. Als Lehrkraft muss (und kann) man nicht alles können. Insbesondere, wenn es um Snapchat, TikTok, Apps und Co. geht. Wer authentisch ist, seine Mitmenschen ernst nimmt, wird auch ernst genommen. Um einander zu verstehen, sollten wir alle mehr miteinander reden und interessiert daran sein, voneinander zu lernen. Nur weil wir Verhaltensweisen oder Weltanschauungen (noch) nicht verstehen, heißt es nicht, dass diese schlecht oder falsch sind. Ein generationsübergreifender Austausch ist ein Mehrwert für alle. Und insbesondere dort, wo sie tagtäglich aufeinanderprallen. Nämlich im Klassenzimmer.


Weiterführende Artikel zu dem Thema und zur Generationenforschung von Herrn Maas:




Clara Schaksmeier ist Bildungsenthusiastin, Projektreferentin und Autorin. Aufgrund ihrer vielen prägenden Erfahrungen in internationalen Schulkontexten setzt sie sich zum Beispiel mit dem DAAD und dem Goethe-Institut für die Internationalisierung des Lehramts ein. Außerdem schreibt und bloggt die examinierte Lehrerin über Bildungsthemen und blickt dabei über den Tellerrand: www.claraschaksmeier.de ;

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